Kunstverein Bad Kreuznach
2012
Sigrid Brandstetter
Fukuschima IV, 2012,
Tusche, Pigmente und Kreide auf Segeltuch, 90 x 100 cm
Tusche, Pigmente und Kreide auf Segeltuch, 90 x 100 cm
Catharina de Rijke hat Ihrer Ausstellung den
Titel „Reis naar de zee – Reise zum Meer“ gegeben. Bevor wir uns der inneren
Thematik der Ausstellung annähern, möchte ich kurz auf die Biographie der
Künstlerin eingehen. Catharina de Rijke ist Niederländerin und Ende
der 50iger Jahre in einer Künstlerfamilie in Rotterdam hinein geboren worden. Sie studierte Textildesign in Delft und
Kunstgeschichte in Paris. Aber dies sind nur die Ausgangspunkte ihres
Künstlerischen Denkens und Arbeitens.
Catharina de Rijke hat sich schon früh für die Malerei entschieden. Zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen dokumentieren Ihren Schaffensdrang. Die Ausstellungsorte folgen gleich einer dicht geknüpften Perlenspur dem Lauf des Rheins. Letztes Jahr hat sie ausstellungstechnisch den Lauf des Rheins etwas verlassen. So stellte die Künstlerin in Luxembourg in der Atrium-Art Gallery aus. Nach Bad Kreuznach werden Arbeiten von Catharina de Rijke in der BroussArt Gallery in Brussel zu sehen sein. Auch persönlich hat es sie flussaufwärts gezogen. Heute lebt und arbeitet sie in Köln und Leverkusen. „Hauptsächlich“, denn Sie unternimmt auch viele Studienreisen in ganz Europa, die USA und Afrika.
Nun aber zu der hier gezeigten „Reise zum Meer“. Reisen ist immer ein Prozess der Annäherung und der Entfernung zugleich. Der Begriff der See, des Meeres zudem ruft bei jedem Betrachter zunächst andere Assoziationen, schon vor dem ersten Blick auf die Arbeiten der Künstlerin hervor. In meinem Kopf legt sie so wie von Geisterhand eine verkratzte Vinylplatte auf und es erklingt Treuest‘s Hymne „La Mer“. Der Ein oder Andere verspürt den speziellen Geruch der See. Man gerät gerne in eine sinnlich-poetische Stimmung.
»Reisen ist immer ein Prozess der Annäherung und der Entfernung zugleich.«
Wie verhält es sich nun mit den Arbeiten zum Thema „Reise zum Meer“ von Catharina de Rijke? Welche Stimmungslagen herrschen hier vor? Aufsehensreich ist die Arbeit mit dem Titel „Coming soon III, Elsa“ aus dem Jahr 2011. Die Arbeit ist Bestandteil einer Serie, von der hier drei Arbeiten zu sehen sind.
Im Ausschnitt ab Ellbogenhöhe abwärts dargestellt ahnen wir eine nach rechts aus dem Bildraum schreitender gelbgekleidete weiblicher Figur. Sie scheint etwas Rotes, vielleicht eine Tasche zu tragen und ist im Seitenausschnitt erfasst. Ihr Schritt wirkt bestimmt. Der Hintergrund bleibt undefiniert. Dünenbeige kommt es einem in den Sinn, – oder schreitet sie vor einem in den Jahren gekommene Fassade? Die intuitiv, flüchtig gestalteten Flächen, die vage eine Person beschreiben entwickeln für sich, wenn man sie ohne realitätsformendes Wollen betrachtet eine heitere Dynamik. Da ist Schwung drin, kompositorische Sicherheit. Hier formuliert sich eine Aussage, die für sich allein steht, aber gleichwohl bei dem Versuch der Realitätsbeschreibung durch den Betrachter dessen Vermutung stützt. Die Ambivalenz zwischen der in einer Anmutung noch informellen und im gleichen Moment schon gegenständlichen Interpretation macht die Einvernahme der Bildrealität spannend.
Catharina de Rijkes künstlerischen Entscheidung ist die eines meisterlichen Schwebezustands, zwischen gegenständlicher Anmutung und Abstraktion. Die Künstlerin postuliert ein entschiedenes „Sowohl als Auch“. Sie setzt sich keine Grenzen aus der Entscheidung für die eine oder andere Lösung. Bei unserem Vorbereitungsgespräch letzten Mittwoch beschrieb sie mir die treffend als niederländisches Element Ihrer Geisteshaltung. Sie kommt aus einem kleinen Land, das durch seine Topografie sehr weit wirkt. Als Küstenbewohner schon immer im Austausch mit dem Anderen. Eine Offenheit, die sich nicht nur aus der Sicht in und aus gardinenlosen Zweifensterhäusern der niederländischen Orte erklärt.
Ihr Duktus folgt dieser uneingeschränkten Vorstellung. Farbe verdichtet sich nicht nur zur klar definierten Form, um sich im nächsten Moment aus dem intuitiven Pinselschwung heraus bis hin zum einzelnen Pigment zu lösen. Zarte Farbschleier überlagern klarer gefasste Formen, etwa die den des Beines. Das gelbe Kleid wirkt sporadisch durchscheinend. Dahinter, Nichts, Leere. Keine Linien! Konturen! Bändigen die Vorstellung. Für den Betrachter ähnelt das gesehene vielleicht der Andeutung einer Luftspiegelung. Einer besonderer Betrachtungszustand, zwischen wahrhaftig sein – Vermutung – und – Verwerfung der Wahrnehmung.
Catharina de Rijke beschreibt dies selbst sehr treffend: „Im Prozess der obsessiven und subjektiven Spurensuche zum Tiefgang des Motivs, begegnen Realismus und Abstraktion einander. Das Gemälde entwickelt sich eher zu einem Bild seiner eigenen Werdungsgeschichte – als dass es einer malerischen Darstellung der Wirklichkeit entspricht“. Malerei versteht sie nicht als realitäts-dokumentarisch im Sinne von Offensichtlichem. Darstellungsinhalt ist der Prozess emotionaler Reflexion.
»Malerei versteht sie nicht als realitäts-dokumentarisch
im Sinne von Offensichtlichem.«
Die prozesshafte, szenische Bildaussage findet sich auch bei der Arbeit „Nice to meet you“ VIII am Meer in San Sebastian. Ein Werk aus dem Jahr 2011. Auch diese Arbeit ist ein Teil eines Zyklus zum gleichen Thema. Das Zentrum des hochformatigen Bildes beschreibt zwei verschränkt in Rückenansicht gezeigte, kopflose Figuren. Auch die Beine verlieren sich im gesprenkelten, mit trockenem Pinselauftrag gefassten Malgrund. Der Blick konzentriert sich auf die rückwertigen Körpermitten. Der schwarze, kontourlos weiblich wirkende Partner schmiegt sich an den Kräftigeren. Er ist hauptsächlich durch eine blaue Umrisslinie beschrieben. Mehr oder weniger vage lösen sie sich aus dem schemenhaften Umraum, ohne tatsächlich dessen Textur zu verändern. Die Durchdringung ist wechselseitig, selbst die Struktur der Leinwand trägt zur Bildaussage bei. Die schwärzen Tüpfel verdichten sich schwarmartig zur zarten Gestalt – eine flüchtige Erscheinung. Die blaue, männlich, kräftige Umarmung scheint die Harmonie des Zusammentreffens nur flüchtig fassen zu können. Harmonie und Glück als flüchtiges Gut. Wiedersehensfreude kann nur aus der Immanenz als getrenntsein funktionieren. Nur gegensätzliches vermag sich zu ergänzen. Fast scheint es so als verdichtet sich Farbe und Form bei einer intuitiven Betrachtung zu einem Ying und Yang Symbol.
Catharina de Rijke gelingt eine emotionale-situative Malerei: Durchdringung = die Daseinserfahrung ist ihr wichtig. Sehen ist auch Spüren. Angeregt durch die Städtepartnerschaft Köln und Kyoto beschäftigt sich die Künstlerin sich seit vielen Jahren mit der asiatischen, ins Besondere der japanischen Kultur. Bei den Arbeiten entdeckt man im Pinselduktus, den Schwung des Farbauftrages Ähnlichkeiten mit der japanischen Kalligrafie Kunst. Parallel zu dieser entwickeln sich Formen eruptiv, aus einer starken inneren Konzentration heraus. Auf diese reagiert die Künstlerin wiederum kompositorisch im nächsten Arbeitsschritt. Dem ganzen wohnt, trotz alles Ernsthaftigkeit etwas Spielerisches inne.
Im letzten Jahr entstand so auch die Arbeit Fukushima III. Hierzu haben wir Alle seit genau einem Jahr ein kollektives Bilderkonvolent im Kopf. Nach den grauen zügellosen Fluten – treibender Chaos blickte man aus der Ferne gebannt auf vier strahlend weiße Kuben, geordnet vor blauen Himmel. Sattes Grün umgibt Sie. Blaugraue See – menschenleere Landschaft. Catharina de Rijke hat diese näher an uns herangeholt.
Geborsten, gekippt sind nun die Kuben, ihre Anzahl ist nicht mehr eindeutig. Sie bestimmen den zentralen Bildraum. Der Blick des Betrachters treibt auf Sie zu, wie auf ein unheilvolles Eiland. Starr, kalt-leuchtend sind die Reflexe im Wasser. Den linken Kubus entweicht bedrohlich schwarz-blasiger rauch, der sich in verdünnend, unsichtbar werdenden Schwaden nach links aus dem Bildraum verflüchtigt. Schmale, fahle blaue Farbschleiern und eine zarte bergige Landschaftsandeutung in der rechten oberen Bildhälfte vermögen die stürzenden kreideweißen und schwarzen Flächen nicht wirklich etwas Hoffnungsvolles entgegen zu setzen. Die Landschaftsandeutung im Hintergrund zitiert in ihrer schichtenhaften Raumbeschreibung den gestaffelten Aufbau traditioneller japanischer Landschaftsmalerei: Andererseits baut die Künstlerin ihre Bilder vom Hintergrund her auf und steht damit in der Tradition der niederländischen Landschaftsmalerei. Die farbblauen Himmelsstreifen sind der Rest einer größeren Fläche. Der im Gestaltungsprozess immer mehr verkleinert wurde. Die Mitte des Bildes bestimmt ein vom ehemals hellen Kubus geschwärzt spitz-dreieckig nach Unten zeigendes Dreieck. Hier tut sich ein Höllenschlund ins nichts auf. Hier verlieren nicht nur stählerne Industriehüllen ihren Halt. Die Künstlerin möge mir bitte diese Assoziationsverknüpfung aus dem kunsthistorischen Arsenal verzeihen. Mir spiegelte sich in der Betrachtung von Fukushima IV Böcklins Toteninsel aus der Romantik, nur das wir nun selbst auf das Ende zutreiben.
Meeresrauschen I, 2012,
Tusche und Pigmente, 100 x 70 cm
Schließen möchte ich mit der Arbeit Meeresrauschen aus dem Jahr 2012. Vor tiefer Horizontlinie, grauer See mit blauen Reflexionen und weitem Himmel mit blauen Wolkenlücken formt eine dunkle Gestalt in kraftvoller Elastizität eine Woge. Der vom ablandigen Wind nach vorn gewehtem Mantel bricht im Windschatten des Körpers im rechten Winkel ab. Ein grau-lasierter Farbschleier trifft von links Oben wie eine Regenfahne auf die Figur. Für mich hat die Szene etwas Trotziges. Da behauptet sich ein Mensch gegen die Natur, sinnbildlich für den jahrhundertealten Kampf der Menschen gegen das Meer. Nutzen und Leid liegen nah bei einander. Das ewige Rauschen des Meeres wird ein groteskes Dialogangebot unterbreitet. Dies war meine Assoziation, die ich vor ein paar Tagen Catharina de Rijke schilderte. Sie war erstaunt über diese Betrachtung. „Ja, einige Betrachter hätten schon mal einen Ikarus darin gesehen“, aber sie malte eine dunkle, sich brechende Welle. Künstler und Betrachter sind hier verschiedene Wahrnehmungsstrategien gefolgt.
Ihre Motive sind keine Sinnbilder im engeren Sinn, sondern haben einen persönlichen, situativen Kontext. Ihre Landschaftsmalerei ist insofern informell, die Anzeichnung ihrer Gedankenwelt erlaubt aber dem Betrachter seine Daseinserfahrung zu spiegeln. Ihre Reise zum Meer ist eine vielschichtige Annäherung an einen Erfahrungsort, an dem sich die Horizontlinie auch im übertragenden Sinn als Ordnungslinie vom Anfang und Ende verliert.
Catharina de Rijke hat sich schon früh für die Malerei entschieden. Zahlreiche Gruppen- und Einzelausstellungen dokumentieren Ihren Schaffensdrang. Die Ausstellungsorte folgen gleich einer dicht geknüpften Perlenspur dem Lauf des Rheins. Letztes Jahr hat sie ausstellungstechnisch den Lauf des Rheins etwas verlassen. So stellte die Künstlerin in Luxembourg in der Atrium-Art Gallery aus. Nach Bad Kreuznach werden Arbeiten von Catharina de Rijke in der BroussArt Gallery in Brussel zu sehen sein. Auch persönlich hat es sie flussaufwärts gezogen. Heute lebt und arbeitet sie in Köln und Leverkusen. „Hauptsächlich“, denn Sie unternimmt auch viele Studienreisen in ganz Europa, die USA und Afrika.
Nun aber zu der hier gezeigten „Reise zum Meer“. Reisen ist immer ein Prozess der Annäherung und der Entfernung zugleich. Der Begriff der See, des Meeres zudem ruft bei jedem Betrachter zunächst andere Assoziationen, schon vor dem ersten Blick auf die Arbeiten der Künstlerin hervor. In meinem Kopf legt sie so wie von Geisterhand eine verkratzte Vinylplatte auf und es erklingt Treuest‘s Hymne „La Mer“. Der Ein oder Andere verspürt den speziellen Geruch der See. Man gerät gerne in eine sinnlich-poetische Stimmung.
»Reisen ist immer ein Prozess der Annäherung und der Entfernung zugleich.«
Wie verhält es sich nun mit den Arbeiten zum Thema „Reise zum Meer“ von Catharina de Rijke? Welche Stimmungslagen herrschen hier vor? Aufsehensreich ist die Arbeit mit dem Titel „Coming soon III, Elsa“ aus dem Jahr 2011. Die Arbeit ist Bestandteil einer Serie, von der hier drei Arbeiten zu sehen sind.
Im Ausschnitt ab Ellbogenhöhe abwärts dargestellt ahnen wir eine nach rechts aus dem Bildraum schreitender gelbgekleidete weiblicher Figur. Sie scheint etwas Rotes, vielleicht eine Tasche zu tragen und ist im Seitenausschnitt erfasst. Ihr Schritt wirkt bestimmt. Der Hintergrund bleibt undefiniert. Dünenbeige kommt es einem in den Sinn, – oder schreitet sie vor einem in den Jahren gekommene Fassade? Die intuitiv, flüchtig gestalteten Flächen, die vage eine Person beschreiben entwickeln für sich, wenn man sie ohne realitätsformendes Wollen betrachtet eine heitere Dynamik. Da ist Schwung drin, kompositorische Sicherheit. Hier formuliert sich eine Aussage, die für sich allein steht, aber gleichwohl bei dem Versuch der Realitätsbeschreibung durch den Betrachter dessen Vermutung stützt. Die Ambivalenz zwischen der in einer Anmutung noch informellen und im gleichen Moment schon gegenständlichen Interpretation macht die Einvernahme der Bildrealität spannend.
Catharina de Rijkes künstlerischen Entscheidung ist die eines meisterlichen Schwebezustands, zwischen gegenständlicher Anmutung und Abstraktion. Die Künstlerin postuliert ein entschiedenes „Sowohl als Auch“. Sie setzt sich keine Grenzen aus der Entscheidung für die eine oder andere Lösung. Bei unserem Vorbereitungsgespräch letzten Mittwoch beschrieb sie mir die treffend als niederländisches Element Ihrer Geisteshaltung. Sie kommt aus einem kleinen Land, das durch seine Topografie sehr weit wirkt. Als Küstenbewohner schon immer im Austausch mit dem Anderen. Eine Offenheit, die sich nicht nur aus der Sicht in und aus gardinenlosen Zweifensterhäusern der niederländischen Orte erklärt.
Ihr Duktus folgt dieser uneingeschränkten Vorstellung. Farbe verdichtet sich nicht nur zur klar definierten Form, um sich im nächsten Moment aus dem intuitiven Pinselschwung heraus bis hin zum einzelnen Pigment zu lösen. Zarte Farbschleier überlagern klarer gefasste Formen, etwa die den des Beines. Das gelbe Kleid wirkt sporadisch durchscheinend. Dahinter, Nichts, Leere. Keine Linien! Konturen! Bändigen die Vorstellung. Für den Betrachter ähnelt das gesehene vielleicht der Andeutung einer Luftspiegelung. Einer besonderer Betrachtungszustand, zwischen wahrhaftig sein – Vermutung – und – Verwerfung der Wahrnehmung.
Catharina de Rijke beschreibt dies selbst sehr treffend: „Im Prozess der obsessiven und subjektiven Spurensuche zum Tiefgang des Motivs, begegnen Realismus und Abstraktion einander. Das Gemälde entwickelt sich eher zu einem Bild seiner eigenen Werdungsgeschichte – als dass es einer malerischen Darstellung der Wirklichkeit entspricht“. Malerei versteht sie nicht als realitäts-dokumentarisch im Sinne von Offensichtlichem. Darstellungsinhalt ist der Prozess emotionaler Reflexion.
»Malerei versteht sie nicht als realitäts-dokumentarisch
im Sinne von Offensichtlichem.«
Die prozesshafte, szenische Bildaussage findet sich auch bei der Arbeit „Nice to meet you“ VIII am Meer in San Sebastian. Ein Werk aus dem Jahr 2011. Auch diese Arbeit ist ein Teil eines Zyklus zum gleichen Thema. Das Zentrum des hochformatigen Bildes beschreibt zwei verschränkt in Rückenansicht gezeigte, kopflose Figuren. Auch die Beine verlieren sich im gesprenkelten, mit trockenem Pinselauftrag gefassten Malgrund. Der Blick konzentriert sich auf die rückwertigen Körpermitten. Der schwarze, kontourlos weiblich wirkende Partner schmiegt sich an den Kräftigeren. Er ist hauptsächlich durch eine blaue Umrisslinie beschrieben. Mehr oder weniger vage lösen sie sich aus dem schemenhaften Umraum, ohne tatsächlich dessen Textur zu verändern. Die Durchdringung ist wechselseitig, selbst die Struktur der Leinwand trägt zur Bildaussage bei. Die schwärzen Tüpfel verdichten sich schwarmartig zur zarten Gestalt – eine flüchtige Erscheinung. Die blaue, männlich, kräftige Umarmung scheint die Harmonie des Zusammentreffens nur flüchtig fassen zu können. Harmonie und Glück als flüchtiges Gut. Wiedersehensfreude kann nur aus der Immanenz als getrenntsein funktionieren. Nur gegensätzliches vermag sich zu ergänzen. Fast scheint es so als verdichtet sich Farbe und Form bei einer intuitiven Betrachtung zu einem Ying und Yang Symbol.
Catharina de Rijke gelingt eine emotionale-situative Malerei: Durchdringung = die Daseinserfahrung ist ihr wichtig. Sehen ist auch Spüren. Angeregt durch die Städtepartnerschaft Köln und Kyoto beschäftigt sich die Künstlerin sich seit vielen Jahren mit der asiatischen, ins Besondere der japanischen Kultur. Bei den Arbeiten entdeckt man im Pinselduktus, den Schwung des Farbauftrages Ähnlichkeiten mit der japanischen Kalligrafie Kunst. Parallel zu dieser entwickeln sich Formen eruptiv, aus einer starken inneren Konzentration heraus. Auf diese reagiert die Künstlerin wiederum kompositorisch im nächsten Arbeitsschritt. Dem ganzen wohnt, trotz alles Ernsthaftigkeit etwas Spielerisches inne.
Im letzten Jahr entstand so auch die Arbeit Fukushima III. Hierzu haben wir Alle seit genau einem Jahr ein kollektives Bilderkonvolent im Kopf. Nach den grauen zügellosen Fluten – treibender Chaos blickte man aus der Ferne gebannt auf vier strahlend weiße Kuben, geordnet vor blauen Himmel. Sattes Grün umgibt Sie. Blaugraue See – menschenleere Landschaft. Catharina de Rijke hat diese näher an uns herangeholt.
Geborsten, gekippt sind nun die Kuben, ihre Anzahl ist nicht mehr eindeutig. Sie bestimmen den zentralen Bildraum. Der Blick des Betrachters treibt auf Sie zu, wie auf ein unheilvolles Eiland. Starr, kalt-leuchtend sind die Reflexe im Wasser. Den linken Kubus entweicht bedrohlich schwarz-blasiger rauch, der sich in verdünnend, unsichtbar werdenden Schwaden nach links aus dem Bildraum verflüchtigt. Schmale, fahle blaue Farbschleiern und eine zarte bergige Landschaftsandeutung in der rechten oberen Bildhälfte vermögen die stürzenden kreideweißen und schwarzen Flächen nicht wirklich etwas Hoffnungsvolles entgegen zu setzen. Die Landschaftsandeutung im Hintergrund zitiert in ihrer schichtenhaften Raumbeschreibung den gestaffelten Aufbau traditioneller japanischer Landschaftsmalerei: Andererseits baut die Künstlerin ihre Bilder vom Hintergrund her auf und steht damit in der Tradition der niederländischen Landschaftsmalerei. Die farbblauen Himmelsstreifen sind der Rest einer größeren Fläche. Der im Gestaltungsprozess immer mehr verkleinert wurde. Die Mitte des Bildes bestimmt ein vom ehemals hellen Kubus geschwärzt spitz-dreieckig nach Unten zeigendes Dreieck. Hier tut sich ein Höllenschlund ins nichts auf. Hier verlieren nicht nur stählerne Industriehüllen ihren Halt. Die Künstlerin möge mir bitte diese Assoziationsverknüpfung aus dem kunsthistorischen Arsenal verzeihen. Mir spiegelte sich in der Betrachtung von Fukushima IV Böcklins Toteninsel aus der Romantik, nur das wir nun selbst auf das Ende zutreiben.
Meeresrauschen I, 2012,
Tusche und Pigmente, 100 x 70 cm
Schließen möchte ich mit der Arbeit Meeresrauschen aus dem Jahr 2012. Vor tiefer Horizontlinie, grauer See mit blauen Reflexionen und weitem Himmel mit blauen Wolkenlücken formt eine dunkle Gestalt in kraftvoller Elastizität eine Woge. Der vom ablandigen Wind nach vorn gewehtem Mantel bricht im Windschatten des Körpers im rechten Winkel ab. Ein grau-lasierter Farbschleier trifft von links Oben wie eine Regenfahne auf die Figur. Für mich hat die Szene etwas Trotziges. Da behauptet sich ein Mensch gegen die Natur, sinnbildlich für den jahrhundertealten Kampf der Menschen gegen das Meer. Nutzen und Leid liegen nah bei einander. Das ewige Rauschen des Meeres wird ein groteskes Dialogangebot unterbreitet. Dies war meine Assoziation, die ich vor ein paar Tagen Catharina de Rijke schilderte. Sie war erstaunt über diese Betrachtung. „Ja, einige Betrachter hätten schon mal einen Ikarus darin gesehen“, aber sie malte eine dunkle, sich brechende Welle. Künstler und Betrachter sind hier verschiedene Wahrnehmungsstrategien gefolgt.
Ihre Motive sind keine Sinnbilder im engeren Sinn, sondern haben einen persönlichen, situativen Kontext. Ihre Landschaftsmalerei ist insofern informell, die Anzeichnung ihrer Gedankenwelt erlaubt aber dem Betrachter seine Daseinserfahrung zu spiegeln. Ihre Reise zum Meer ist eine vielschichtige Annäherung an einen Erfahrungsort, an dem sich die Horizontlinie auch im übertragenden Sinn als Ordnungslinie vom Anfang und Ende verliert.